Die Bambus Lüge

Die Bambus Lüge

19. Oktober 2020 Aus Von Chefupdate

Die Bambus Lüge

Trendprodukt Bambusgeschirr – nachhaltige Alternative oder Bambuslüge? Ein sehr fundierter Bericht der Lebensmittelchemiker/-innen in Lebensmitteluntersuchung und -überwachung

Die Bezeichnung „Bambusgeschirr“ und die Werbung damit suggeriert dem Verbraucher, dass es sich hierbei um umweltverträglich („besonders umweltfreundlich“, „biologisch abbaubar“ oder „ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt“) hergestelltes Geschirr handelt. Ist das tatsächlich der Fall oder handelt es sich nur um scheinbar „natürliches“ Geschirr?

Dekoratives Geschirr ist ein Garant für eine niveauvolle Speisentafel, aber auch beim gemütlichen Picknick und im Alltag. Insbesondere bei jungen Familien liegt Bambusgeschirr voll im Trend. Hierzu zählen die allseits beliebten „Coffee to go“-Becher, Teller, Tassen, Schalen und insbesondere auch Kindergeschirr. Die Produkte stellen gegenüber Porzellangeschirr eine bruchsichere Alternative dar und sind häufig gefärbt bzw. mit trendigen Mustern versehen, was besonders die Attraktivität bei Kindern steigert.

Die Werbung für derartige Produkte verspricht dem Verbraucher gern ein ökologisch nachhaltiges, umweltfreundliches oder biologisch abbaubares Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Wahrheit sieht jedoch ganz anders aus. Viele Bambusartikel werden aus Melamin-Formaldehyd-Harzen (MFH) und Bambusfasern als Füllstoff hergestellt. Auch wenn der alternative Füllstoff Bambus nachwächst, die damit hergestellte „Bambusware“ ist dennoch ein synthetisches Kunststoffprodukt und nicht biologisch abbaubar.

Was ist das Problem?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und mehrere chemische Untersuchungsämter der Bundesländer haben die Bambusartikel auf Materialzusammensetzung, aber vor allem auf unerwünschte Stoffübergänge auf Lebensmittel untersucht. Die Prüfungen erfolgten unter den standardisierten Bedingungen einer Heißabfüllung. Dabei wurde festgestellt, dass im Kontakt mit heißen Lebensmitteln zum Teil hohe Mengen an Melamin und Formaldehyd auf Lebensmittel übergehen können. Besonders unerfreulich für den Verbraucher ist, dass die Freisetzung der beiden unerwünschten Stoffe gerade bei der ökologisch beworbenen Bambusware zum Teil deutlich höher ist als bei den Kunststoffprodukten aus „herkömmlicher“ Melaminware. Dementsprechend ist die Eignung von Bambus als Zusatzstoff für die Herstellung melaminhaltiger Küchenartikel in Frage zu stellen. [1-6] Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) fordert in diesem Zusammenhang eine individuelle Neubewertung von Naturmaterialien wie Holz oder Bambus hinsichtlich der Verwendung in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff. [7] Einige Sachverständige beurteilen inzwischen die Verwendung von Bambusfasern als Füllstoff für Kunststoffgegenstände als unzulässig, weil dieses Material nicht in der Positivliste der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 [9] aufgeführt wird. [6, 8]

Unerwünschte Stoffübergänge aus kunststoffhaltigen Lebensmittelkontaktmaterialien sind in der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 durch sogenannte „spezifische Migrationsgrenzwerte“ (SML) geregelt. Demnach dürfen bei Melamin maximal 2,5 mg pro kg Lebensmittel übergehen, bei Formaldehyd liegt der zulässige SML bei 15 mg pro kg Lebensmittel. [9]

Formaldehyd
Formaldehyd ist haut- und schleimhautreizend und kann nach Einatmen Krebs im Nasen-Rachen-Raum auslösen. Bei oraler Aufnahme über Nahrung oder Trinkwasser wurde dagegen keine Krebsbildung beobachtet. Im Langzeit-Tierversuch zeigten sich aber Entzündungen und vermehrtes Zellwachstum im Bereich des Magens.

Melamin
Im Langzeit-Tierexperiment an Nagern wurde die Bildung von Blasensteinen und ein damit verbundenes erhöhtes Auftreten von Blasenkrebs beobachtet. Die Aufnahme von Melamin führt zur Schädigung der Nieren. Im Jahr 2008 führte eine illegale Streckung von Milchpulver für Säuglinge mit Melamin in China zum Tod von Säuglingen durch Nierenversagen.

Was muss der Verbraucher wissen?

Bambusware“ wird häufig als Naturprodukt aus Bambus beworben. Die Verwendung eines MFH wird nicht selten verschwiegen oder lediglich im Kleingedruckten erwähnt. Erhöhte Achtsamkeit ist besonders bei „Coffee to go“-Bechern und bei Kindergeschirr-Sets geboten. Verbraucher sollten unbedingt die Angaben zur sicheren und sachgemäßen Verwendung beachten. Bambusware sollte keinen hohen Temperaturen (über 70 °C) ausgesetzt werden. Derartige Produkte dürfen auf keinen Fall zum Erwärmen von Speisen in der Mikrowelle benutzt werden. Wenn auf den Verpackungen oder Etiketten keinerlei Hinweise zur Anwendung oder zur Materialzusammensetzung zu finden sind, sollte besondere Vorsorge bezüglich hoher Temperaturen gelten.

Auch bei der Reinigung des Geschirrs und der Küchenutensilien sind hohe Temperaturen zu vermeiden. Andernfalls kann das Material an der Oberfläche angegriffen werden und der Übergang bedenklicher Stoffe ggf. steigen. In diesen Fällen, aber auch bei Beschädigungen sind die Gegenstände auszuwechseln.

Gibt es auch „echte“ Bambusartikel?

Im Gegensatz zur melaminhaltigen „Bambusware“ gibt es allerdings auch Bambusartikel auf dem Markt, die ohne ein MFH auskommen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Schneidebretter oder Kochutensilien aus Bambusholz. Verbraucher können diese „echten“ Bambusprodukte an der deutlichen Holzstruktur bzw. Holzmaserung erkennen.